LIGHT
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AIDS Station, 1997 Anfang 1998 startet das Projekt LIGHT INFECTION zum Thema AIDS mit der Übernahme eines einheitlichen Oberflächendesigns. Ziel des Projektes ist die thematische Infektion. Zu diesem Zweck schuf die BEWEGUNG NURR das Virusobjekt, den schwarzen Basketball. Auf der zunächst realisierten Internetplattform VIRTUAL AIDS STORE wurden die verschiedenen Horizonte von AIDS diskutiert und der weltweite Vertrieb des Virusobjektes vorgestellt. Im Oktober 1998 konnte im Berliner Marstall, im Rahmen der Ausstellung Ceterum Censeo 2, der erste AIDS STORE gebaut werden. Das Projekt schafft und bewegt ein Image, dem eine einheitliche Oberflächengestaltung zugrunde liegt. Dieses Image wird durch den Horizont von AIDS geliefert. LIGHT INFECTION sucht die Horizonte der Konstruktion von AIDS. Arbeitsperspektive ist nicht die Entwicklung einer subkulturellen Chiffre, sondern der Re-Import des Themas in die bildende Kunst: Dienstleistung als symptomatisches Erfahrungsfeld. AIDS IS TRADEMARK / INFECTION IS SERVICE In der Thematisierung von AIDS als Warenzeichen und Infektion als Service liegt die Chance, Werbung zu nutzen, um die Wirkungsweise der transpolitischen Kommunikationsgesellschaft sichtbar zu machen und so das Thema AIDS (soweit möglich auch als Ereignis) wieder einzuführen. LIGHT INFECTION versteht sich in diesem Sinne als Kommunikationsprojekt. IGNORANZ IST SYSTEM Die Not der anderen, die der Dritten Welt, ist die Grundlage der westlichen Macht. Der Süden ist Rohstofflieferant, und der neuste Rohstoff sind Katastrophen. Der Norden ist auf die Weiterverarbeitung von Rohstoffen spezialisiert. Es werden verarbeitete Katastrophen konsumiert sowie das Schauspiel unserer eigenen Bemühungen, das Elend zu reduzieren, wodurch wiederum die Voraussetzungen für die Reproduktion des Katastrophenmarktes gesichert werden. Der Norden bemüht sich darum, das Elend als symbolische Ablagerungsstätte zu reproduzieren, als unverzichtbaren Brennstoff für das moralische Gleichgewicht der westlichen Hemisphäre. AIDS Store, 1998 (Ceterum Censeo 2, Berliner Marstall) AIDS REVISITED – OUTBREAK von Konstantin Ingenkamp Im Jahr 1989, noch vor den Ereignissen im Osten, gab es zwei Arten von Ereignissen, so meinte Jean Baudrillard. Einerseits Gedenkfeiern und Wahlen als redundante Ereignisse, andererseits Extremphänomene. Gemeint waren, in dieser Reihenfolge: AIDS, Terrorismus, Börsenkrach, Aktienmanipulation, Computerviren. AIDS, das Virusthema, steht nicht zufällig an erster Stelle dieser Auflistung. AIDS war für Baudrillard damals die Metapher für Ansteckungsgefahr, Kettenreaktion, Ausbreitung und Metastase (Übertragung der Verantwortung für eine Sache auf andere Personen; Verschleppung einer Krankheit an andere Körperstellen). AIDS war nicht nur als Metapher ein Thema, sondern es wurde auch ganz real von AIDS-Aktivisten auf die Tagesordnung gesetzt. Heute ist das Thema AIDS in der Öffentlichkeit unterrepräsentiert. Es hat als Metapher oder Metonymie ausgedient, und auch die AIDS-Aktivisten sind in der Versenkung verschwunden. Die Zahl der Betroffenengruppen ist jedoch angestiegen. Welcher soll man die meiste Aufmerksamkeit schenken? Den Schwulen, den Hämophilen, den Fixern, den infizierten Kindern, den infizierten Müttern, den in verbrecherischer Absicht von anderen Infizierten, den Infizierten in Afrika? AIDS ist unübersichtlich geworden. In den westlichen Gesellschaften vollzieht sich im privaten Bereich seit den achtziger Jahren eine Bewegung, die man vielleicht am besten als Cocooning bezeichnet, der Rückzug ins Private. Mit der komplexen und möglicherweise schlechten Welt da draußen, die man schwer versteht, will man im privaten Leben möglichst wenig zu tun haben. Cocooning und Individualisierung führt nach Meinung vieler Soziologen zu einer Fragmentierung der Gesellschaft. Die Gesellschaft wird unsolidarisch. Ignacio Ramonet, Chefdenker der Le Monde Diplomatique hat den Anarcholiberalismus als Schuldigen für die Parzellierung und das Auseinanderbrechen der Gesellschaft ausgemacht. Er verweist aber auch auf Gegenbewegungen, wozu er in Frankreich neben den Bürgerbewegungen und Gewerkschaften auch Act up! zählt. Es stellt sich die Frage, ob diese Bewegungen ein Solidaritätspotential haben, ob sie eine breitere Öffentlichkeit für ihr Thema mobilisieren können, oder ob sie eigentlich mehr oder weniger Betroffenen- bzw. Selbsthilfeinitiativen sind. Sind diese Bewegungen also selbst nur Fragmente einer bereits parzellierten Gesellschaft? GESUND – KRANK Die allgemeine Vorstellung von Gesundheit ist, dass es so etwas wie einen Normalzustand gibt, den man stabil und unversehrt hält. Fitness dagegen ist die Fähigkeit, beweglich zu sein. Dem Soziologen Zygmunt Baumann zufolge hat Fitness heute Vorrang vor Gesundheit. Im Kontakt mit anderen Menschen will man sich nicht auf eine bestimmte Rolle, auf eine Identität festlegen lassen. Das Identitätsproblem der Postmoderne liegt in erster Linie darin, Festlegungen zu vermeiden und sich Optionen zu erhalten, so Baumann. Fitness ist eine der Devisen der Zeit: Fitness als die Fähigkeit, sich schnell dorthin zu bewegen, wo etwas los ist; Fitness als Meta-Anstrengung der Flexibilität. Für Infizierte bietet sich die Möglichkeit, ihre Fitness in Lobbyarbeit unter Beweis zu stellen. Sie sind dann flexibel in ihrer Identität als Professionals im Auftrag des Virus. Auch dadurch wird das Thema AIDS marginalisiert; es wird immer mehr zu einem Thema, das eigentlich nur für die Betroffenen interessant ist, für alle anderen aber ist nur die Prävention von AIDS das Thema. WARENZEICHEN AIDS als Warenzeichen kann nicht nur in homosexuellen Kontexten positioniert sein. Man denke nur an die Verteilung von AIDS auf die Geschlechter in Ländern im südlichen Afrika. Deshalb muss versucht werden, AIDS neu zu positionieren – weg von den roten Schleifchen. Man sollte beim Thema AIDS die Analyse des Raubes (des Lebens, der Sexualität) durch die Analyse der gesellschaftlichen Produktion von AIDS ersetzen. Die phänomenologisch-hermeneutische Philosophie hat den Begriff des Horizonts in Bezug auf die Lebenswelt geprägt. Damit ist gemeint, dass allein in dem Rahmen und der Umgebung, die ein Horizont schafft, etwas bedeutsam wird. Man kann versuchen, den Horizont der Produktion von AIDS zu suchen, um die Bedeutung von AIDS in einer globalisierten Welt neu zu bestimmen. Virus, 1998 Interviews Während einer Präsentation 1998 von LIGHT INFECTION in der KUNST RUIMTE BERLIN sprach Konstantin Ingenkamp (INTER-TRANS) mit Ausstellungsmachern und Kritikern über die künstlerische Auseinandersetzung mit AIDS sowie den politischen und gesellschaf tlichen Wirkungsradius von AIDS-Kunst außerhalb des Kunstbetriebes. Die hier veröffentlichten Interviews mit Marius Babias, Frank Wagner und Thomas Wulffen sind gekürzt. Tendenzen
in der AIDS-Kunst / Interview
mit Frank Wagner von 12.10.1998 KI: David Deitcher meint, dass im Moment gar keine Kunst zum Thema AIDS gemacht wird. Wie meint er das?[2] FW: Da haben wir einen Dissens. Er hat aus einer gewissen Verbitterung heraus geschrieben, der die Feststellung vorausging, dass der Kunstmarkt müde geworden ist, sich mit dem Thema zu befassen. Ich würde sagen, dass der Höhepunkt vorüber ist, der zu Beginn der neunziger Jahre gelegen hat. Zwischen 1988 und 1990 war die stärkste Phase der Politisierung in den USA und das hatte den meisten Effekt auf die Künstler. Es dauerte dann ein bisschen, bis das auch nach Deutschland kam. KI: Du hast ein Phasenmodell über die Entwicklung von AIDS-Kunst aufgestellt. Die erste Stufe ist das Sentimentale, die zweite die politische Thematisierung und die dritte dann die Rückkehr zum Sentimentalen. Was ist der Unterschied zwischen den beiden Arten von Sentimentalität? FW: Das ist komplizierter als es sich anhört, weil sich die Definition des Sentimentalen verändert. Es gibt die erste, ursprüngliche Form der sentimentalen Auseinandersetzung mit AIDS, die vom Schock und von Verzweiflung geprägt war. Insgesamt ist das Thema AIDS von deutschen Künstlern und Künstlerinnen nur sehr vorsichtig aufgenommen worden. Es gab ein paar schwule Künstler, die sich damit auseinandergesetzt haben, teils auf eine Weise, die mich nicht sehr befriedigt hat, weil sie sich vorwiegend als Selbstdarstellung und in einer gewissen Weinerlichkeit präsentierte. Danach kam die immense Politisierung. AIDS-Aktivisten haben versucht, ein politisches Credo zu entwickeln. In Deutschland orientierten sich viele Künstler am amerikanischen Vorbild der Aktivistengruppen und versuchten, das in den akademischen Diskurs zu überführen. Nach dieser Aktivismusperiode gab es dann eine Rückkehr zum Sentimentalen, die sich vom Politischen distanzierte. Es gab eine Form der Selbstvergewisserung. Die Sentimentalität hat sich verändert hin zum frühromantischen Begriff, in dem Gefühl und die Rationalität von Gefühlen ernst genommen werden. Mein Streben war, festzuhalten, dass man wieder symbolische Formen finden kann, um mit diesem Thema umzugehen. Die politische Periode davor hatte sich sehr stark über Text und visuelle Agit-Prop-Formen vermittelt. KI: Wie kam es zu dem Wechsel vom Politischen zum Sentimentalen? FW: Es ist immer gleichzeitig beides da gewesen. Ich denke, dass die in der Politphase aktiven Leute sich verlagert haben in die Beratung und in die Institutionen. Auf der anderen Seite gab es immer eine starke künstlerische Auseinandersetzung, die eine Zeit lang das Politische mitaufgenommen hat, die dann aber individuelle Möglichkeiten gefunden hat. Man hat schnell festgestellt, dass man mit dem Aktivismus zwar viel erreicht, aber dass dadurch die Krankheit nicht besiegt wird. Viele Aktivisten sind an der Krankheit gestorben, und es war schwierig, neue Generationen damit zu konfrontieren und sie zu motivieren. KI: Es gibt Kritiker wie Tom Kuppinger, die meinen, dass AIDS-Kunst die Kunst ist, die von AIDS-Infizierten und anderen aus dem Milieu von AIDS gemacht werden kann. Würdest du dich dem anschließen? FW: Das muss nicht sein. Das wäre dann ja eine sehr institutive Form von Kunst, dass nur die, die an eigenem Leibe eine Erfahrung gemacht haben, diese in irgendeiner Form darstellen können. Da bin ich mit Tom Kuppinger immer im Dissens gewesen. Kunst und AIDS habe ich nie als Form der Selbsterfahrung verstanden, Formen der Selbsterfahrung haben mich in diesem Zusammenhang immer gelangweilt. KI: Global gesehen ist AIDS heute kein schwules Problem mehr. Das Thema ist aber immer noch schwul besetzt. Kann man versuchen, in der Kunst den internationalen Aspekt von AIDS zu thematisieren? FW: Thematisieren lässt sich alles in der Kunst. Ob es nun sinnvoll ist, ist die Frage. Da muss man wie- der auf die nationalen und lokalen Zentren zurückkommen, denn nur dort kann Kunst etwas bewirken. Es gibt Künstler in Nigeria und es gibt Künstler in Singapur, die etwas Interessantes beizutragen haben für ihre jeweiligen Kunstbetrachter. AIDS im internationalen Kontext zu thematisieren wäre wahrscheinlich ein Rückschritt, wobei die ganze AIDS-Prävention vernachlässigt wird, die sich von einer einfachen, linearen Strategie, die sagt, ihr dürft keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, zu einer sehr ausdifferenzierten Prävention entwickelt hat, was Westeuropa und die USA angeht. In der Prävention wird der Versuch gemacht, die Sprache der Zielgruppe zu sprechen. [2] Frank Wagner hatte David Deitcher gebeten, eine Einschätzung zur Kunstproduktion in der AIDS-Krise zu liefern, die im Katalog zur Ausstellung »Les Mondes du SIDA – Zwischen Resignation und Hoffnung« veröffentlicht wurde (Ausstellung anlässlich der 12. Welt-AIDSKonferenz 1998 im Genfer Centre D’Art Contemporain). Sign Of Silence, 1998 Wirkungspotezial
von Teilöffentlichkeit / Interview
mit Marius Babias vom 16.11.1998 KI: In der Projektkunst der 90er, die du als Gegenöffentlichkeit qualifizierst, ist es die Aufgabe der Künstler, Wirklichkeit zu produzieren – als Kunst. Habe ich das Modell der Projektkunst so richtig verstanden? MB: Der Begriff Wirklichkeit ist mir in diesem Zusammenhang zu dominant. Ich würde zunächst einmal zwischen Gesamtöffentlichkeit und Teilöffentlichkeit unterscheiden. Es war ein politischer Irrtum der Nach-68er, tendenziell auf eine Gesamtöffentlichkeit hin zu argumentieren. Ob Stadtguerilla oder RAF – es ging darum, das gesellschaftliche Ganze zu verändern. Heute geht es eher darum, in Teilöffentlichkeiten etwas zu kristallisieren. Da sehe ich ein neues Aufgabenfeld und eine neue Chance von KulturproduzentInnen. KI: Wie schafft es eine Teilöffentlichkeit, über ihre Grenze hinaus Gehör zu finden? MB: Zunächst ist das Programm wichtig. Ob ein Internetforum, eine Stadtteilgalerie oder ein Aufsatzband – unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Zielsetzung mache ich ein Projekt? Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Krisen wie AIDS ist bei KulturproduzentInnen in den 90ern das kritische Bewusstsein gestiegen. Wenn du nach den Effekten solcher Projekte fragst, dann könnte man mit Bourdieu argumentieren, dass es sich bei der Projektkunst um symbolische Beutezüge handelt. Aber die Praxis beweist, dass nicht ausschließlich kulturelles Kapital angehäuft wird, sondern dass sich durchaus Veränderungen im politischen, ökonomischen und kulturellen Feld erzielen lassen, sobald KünstlerInnen ein gesellschaftliches Problem kritisch bearbeiten. KI: Stella Rollig schreibt, dass das vertrackte Problem der aktuellen repolitisierten Kunst darin besteht, ein oft unwilliges Publikum zur Partizipation aufzufordern. Kennst du Beispiele für gelungene Projektkunst, also von Kunst, die in einer Teilöffentlichkeit entstanden ist und die über diese Teilöffentlichkeit hinaus gewirkt hat, bzw. an der die Öffentlichkeit partizipiert hat? MB: Mitte der 90er Jahre gab es eine Reihe von Projekten, Diskussionen und diskursiven Verarbeitungen von Issues, die in den Stand von kunstartigen Hervorbringungen erhoben wurden. In Berlin, Zürich oder Köln entstanden eine Reihe von heute zum Teil wieder geschlossenen selbstorganisierten Orten. Die KünstlerInnen wollten nicht mehr Erkenntnisse in Material einlagern, sie wollten ein Kommunikationsforum schaffen. Symptomatisch war, dass die Masse der KünstlerInnen, die für diesen neuen Ansatz agitiert werden sollte, sich am heftigsten davon distanzierte. Die Teilöffentlichkeit Kunst initiierte einen Spaltpilzprozess, dessen Folgen wir heute noch spüren. Aus der Teilöffentlichkeit wurde eine Miniöffentlichkeit, und aus der Miniöffentlichkeit wurde ein ganz marginaler Bereich. Die überwältigende Mehrheit der KünstlerInnen lehnte die neuen Formen kollektiver Produktion ab und verfolgte ihre Individualkarriere; sie gehen den institutionellen Weg. KI: Kommen wir zum Thema AIDS und Kunst. Ich glaube, dass das Ausblenden von AIDS im Kunstbetrieb im globalen Kontext seit 1994 unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die Cultural Studies zum Leitmodell geworden sind. Mit den Cultural Studies kann man AIDS zwar überall im jeweiligen Kontext analysieren; im globalen Kontext lässt sich AIDS mit Hilfe dieser Theorie nicht reflektieren. MB: Du meinst, durch die vielfältigen Differenzierungen, die in den Cultural Studies zur Sprache kommen, wird die Gesamtperspektive vernebelt? Dazu muss man anmerken, dass die Medienpräsenz von AIDS gerade durch KünstlerInnen verstärkt wurde. Es waren Aktivitäten von Gruppen wie Act Up! Oder Gran Fury, die AIDS zum gesellschaftlichen Thema in den USA gemacht haben. Mit NEA-Geld wurden politische Aktionen finanziert. Ich bezweifle, dass an der medialen Ausblendung von AIDS seit Mitte der 90er Jahre ausgerechnet die Cultural Studies Schuld sein sollen. Man könnte polemisch zurückfragen: Warum interessieren sich KünstlerInnen heute nicht mehr dafür?
AIDS
im Betriebssystem Kunst / Interview
mit Thoams Wulffen von 12.10.1998 KI: Was ist der Unterschied zwischen dem Gesellschaftssystem Kunst und dem Betriebssystem Kunst, einem Begriff, den du in einem von dir herausgegebenen Band von Kunstforum International geprägt hast? TW: Der Begriff Betriebssystem Kunst bezeichnet die starke Autonomisierung des Gesellschaftssystems Kunst. Diese Autonomisierung ist eine sehr junge Entwicklung. Kunst ist heute ein autonomes System, was auch die Frage ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit betrifft. Der Begriff Betriebssystem Kunst war kritisch angesetzt, ich weiß aber nicht, ob das allgemein verstanden worden ist. KI: Verstehe ich das richtig, dass das Betriebssystem Kunst autopoietisch und selbstrefenziell funktioniert? Meinst Du nicht, dass Kunst auch eine Thematisierungsfunktion hat, die aus dem Kunstsystem herausstrahlt? TW: Doch, das wäre auf jeden Fall gut, aber ich bin auch Realist. Deshalb sage ich auch, dass der Begriff Betriebssystem Kunst eine polemische Bedeutung hat. Weil es bestimmende Faktoren gibt, ist es schwierig aus ihm heraus zu kommen. Ein Problem dabei ist, dass gesellschaftliche Probleme, wenn sie ästhetisch umgesetzt werden, von vornherein als ästhetisch wahrgenommen werden, wenn sie nicht die Leute hinter sich haben, die deutlich machen, woher das Problem kommt und die Träger der Bewegung sind. Dass das Betriebssystem Kunst als Modell für gesellschaftliche Analysen gelten kann, ist ein Wunschdenken. Bei einigen Künstlern konnte man das noch vorfinden, aber später ist das in eine konzeptuelle Ästhetik ausgewichen, die gesellschaftliche Fragen nicht mehr aufnimmt. KI: Im Jahr 1993 schrieb Tom Kuppinger, dass AIDS, bezogen auf Berlin, wie eine Bombe in den Kunstbetrieb einschlüge, die mithilft, Korsetts zu sprengen, welche drohten, die Kunst zu ersticken. Das Volk mische sich unter dem Zeichen von AIDS mit den Citoyens des guten Geschmacks. Stimmst du mit Kuppinger überein? TW: Man kann nicht behaupten, dass es damals hier eine große Massenbewegung gab. Zum Teil hat er recht, es hat etwas bewirkt, aber es hatte nicht diesen Knalleffekt, wie in den USA. Die Deutschen konnten sich immer auf eine ästhetische Sicht zurückziehen, das war bei den Amerikanern nicht mehr möglich. Man kann Felix Gonzales-Torres heute ästhetisch betrachten; 1993 hat man ihn ästhetisch und politisch betrachtet. In Amerika hat man sein Werk an erster Stelle politisch gesehen und dann ästhetisch. Das ist der wesentliche Unterschied. KI: Die neuen Zahlen von UNAIDS sagen, 30 Millionen Menschen sind weltweit infiziert.[3] Deren einziger Zusammenhang ist wohl, Deregulationsverlierer zu sein. Diese gigantische Gruppe ist sehr heterogen. Kann man 30 Millionen thematisieren? TW: Anscheinend nur, wenn es uns betrifft. Wenn die Märkte in Südostasien zusammenkrachen, dann lesen wir den Spiegel-Artikel; aber solange die Situation in Afrika so ist wie sie ist und uns das nicht betrifft, kümmert uns das wenig. Da fragt man sich, wozu Politik überhaupt da ist? Es gibt ja ein Gerede von Globalisierung, das für den Hund ist, das sich um die wesentlichen Punkte überhaupt nicht kümmert. KI: Ist das Betriebssystem Kunst eine Abteilung der Freizeitindustrie? TW: Ja, das auch. Vor kurzem habe ich geschrieben, zeitgenössische Kunst besteht – wenn sie gut ist – aus Erkenntnistheorie, Entertainment und Dienstleistung. Was ich sehe ist, dass Erkenntnistheorie immer kleiner gehalten wird und dass Entertainment und Dienstleistung immer mehr Platz einnimmt. Dann wird Kunst Spektakel. Etwas anderes lässt die Gesellschaft anscheinend nicht zu. KI: Kann AIDS-Kunst unter dem Aspekt der Erkenntnistheorie tatsächlich nur von unmittelbar Betroffenen gemacht werden kann. TW: Das muss nicht sein. Der Begriff der Entfremdung spielt hier eine Rolle. Man kann sich innerhalb seiner Arbeit selbst entfremden – wie immer das aussieht – und damit das Problem der Entfremdung bei AIDS-Kranken indirekt thematisieren. Es gibt also Stellvertreter bei der Interessenvertretung marginalisierter Gruppen im Kunstbereich; sie werden nur nicht wahrgenommen. Das ist das wesentliche Problem. [3] Stand 1998. Dezember 2004 waren laut UNAIDS weltweit 40 Millionen Menschen infiziert. Aktuelle Zahlen: www.unaids.orgAIDS Cargo II, 1998
LIGHT INFECTION // tranlated by William Macdougall // pic 1 2 3 4 5 AIDS Station, 1997 The LIGHT INFECTION project started at the beginning of 1998 with the adoption of a uniform surface design. The goal of the project was thematic infection.[1] For this purpose, BEWEGUNG NURR created the virus object, a black basketball. The different horizons of AIDS and the global distribution of the virus object were introduced on the VIRTUAL AIDS STORE internet portal. The first AIDS STORE was built in October 1998 as part of the Ceterum Censeo 2 exhibition (Marstall, Berlin). The project creates and moves an image, with an underlying uniform surface design. This image is provided by the horizon AIDS. LIGHT INFECTION searches for the horizons of the construction of AIDS. Working perspective is not the development of a subcultural code, but rather the re-import of the subject matter into Fine Art: Service as symptomatic field of experience. AIDS IS TRADEMARK / INFECTION IS SERVICE In raising the issue of AIDS as trademark and infection as service lies the chance to use advertising to make visible how the transpolitical communication society operates, and with that to reintroduce the subject matter of AIDS (as event as far as is possible). In this sense, LIGHT INFECTION is best understood as a communication project. IGNORANCE IS SYSTEM The suffering of others, of the Third World, is the basis of Western power. The South is the supplier of raw materials – and the newest raw materials are catastrophes. The North is specialised in the processing of raw materials. Already processed catastrophes are consumed as well as the spectacle of our own efforts to reduce this misery, by which the requirements for the reproduction of the catastrophe markets are made safe. The North endeavours to reproduce the misery as symbolic depository, as indispensable fuel for the moral balance of the Western hemisphere.AIDS Store, 1998 (Ceterum Censeo 2, Marstall Berlin) AIDS REVISITED - OUTBREAK by Konstantin Ingenkamp // translated by William Macdougall In 1989, still before the events in the East, there were, according to Jean Baudrillard, two types of events. On the one hand, commemorative ceremonies and elections as redundant events, and on the other hand, extreme phenomena. Meant by this were in this order: AIDS, terrorism, market crashes, share fraud and computer viruses. AIDS, the virus subject matter, wasn’t at the top of this list by sheer coincidence. For Baudrillard, AIDS at this time was the metaphor for risk of infection, chain reaction, spread and metastasis (the transmission of responsibility for something to another person; the displacement of an illness to other parts of the body). AIDS was not only an issue as metaphor, but it was also put on the agenda by AIDS activists as a reality. Today, the issue of AIDS is underrepresented in the public sphere. It has served its time as metaphor and metonym, with even the AIDS activists disappearing from the scene. However, the number of the groups affected has grown. To which should we give the most attention? The gays, the haemophiliacs, the junkies, the infected children, the infected mothers, the ones who were infected with criminal intent, the infected in Africa? AIDS has become complicated. A movement perhaps best described as »cocooning«, a retreat to the private, has taken place in Western societies since the 1980’s. Faced by a complicated and possibly bad world outside which is hard to understand, one seeks to have as little to do with it in private life as possible. Cocooning and individualisation lead, in the opinion of many sociologists, to a fragmentation of society. Society becomes disunited. According to Ignacio Ramonet, the head thinker of Le Monde Diplomatique, anarcho-liberalism is the main culprit for the parcelling-off and breaking apart of society. However, he also refers to countermovements, to which he counts the French civil movements and trade unions as well as Act Up!. The question arises as to whether these movements have a solidarity potential, if they mobilise the wider general public to their issue or whether they are actually more or less made up of people affected or self-help initiatives. Are these movements themselves only fragments of an already parcelled-off society? HEALTHY – SICK The general conception of health is that there is such a thing as a normal condition that has to be kept stable and intact. Fitness, in contrast, is the ability to be mobile. Today, according to the sociologist Zygmunt Baumann, fitness has precedence over health. In our contact with other people, nobody wants to be assigned a specific role or identity. According to Baumann, the postmodern identity problem lies primarily in the avoidance of commitments and the retaining of options. Fitness is one of the slogans of the time: fitness as the capability to quickly get somewhere where things are happening; fitness as meta-endeavour of flexibility. For the infected, the opportunity arises to prove their fitness in lobbying. They are then flexible in their identity as professionals by order of the virus. With this, the issue of AIDS is also marginalised; it becomes more and more a theme which is only of interest to those affected; for everybody else only AIDS prevention is the issue.Virus, 1998 Interviews // tranlated by William Macdougall During the 1998 presentation of LIGHT INFECTION at the KUNST RUIMTE BERLIN, Konstantin Ingenkamp (INTER-TRANS ) spoke with curators and critics about ar tis tic approaches towards AIDS as well as the political and societal ef fect radius of AIDS art beyond the art world. The interviews with Marius Babias, Frank Wagner and Thomas Wulffen published here have been shor tened. Tendencies
in AIDS art / Interview with Frank Wagner from 12 December 1998 KI: David Deitcher is of the opinion that no art concerned with the issue of AIDS is being made at the moment. How is this meant?[2] FW: We are in disagreement there. He has written from a certain bitterness, from which he reaches his conclusion that the art market has become tired of dealing with the subject. I would say that the climax, which lay at the beginning of the 1990s, is over. Between 1988 and 1990 the strongest phase of politicisation took place in the USA and this had the most effect on artists. It took some time then, for this to reach Germany. KI: You have set up a life-cycle of the development of AIDS art. The first step is the sentimental, the second the politicisation, and the third the return to sentimentalism. What is the difference between he two types of sentimentality? FW: That is more complicated than it sounds, because the definition of sentimentality changes. There is the first initial form of sentimental debate with AIDS, which is characterised by shock anddesperation. Overall, the issue of AIDS has been handled with extreme caution by German artists. There were a few gay artists who engaged with it, partially in a way which for me was not very satisfying, because they predominantly presented themselves in a certain whining self-portrayal type of way. The immense politicisation came afterwards. AIDS activists attempted to develop a political credo. Many artists in Germany oriented themselves according to the American activist group role model and attempted to transfer this to the academic discourse. After this period of activism there followed a return to the sentimental, which distanced itself from the political. There was kind of a process of becoming clear about oneself. The sentimentality changed to that of the early Romantic concept, in which feelings and the rationality of feelings were taken seriously. My quest was to show that symbolic forms could be found to deal with this subject again. The political period before had communicated very strongly using text and visual agit-prop forms. KI: How did the change from the political to the sentimental come about? FW: Both have always been there at the same time. I think that in the political phase the active people relocated themselves in counselling and in institutions. On the other hand, there was always a strong artistic debate which took up the political issue for a while but found more individual approaches afterwards. One quickly saw that a lot could be achieved by activism, but that the disease could not be defeated by it. Many activists have died of the disease, and it was difficult to confront and motivate new generations with this. KI: There are critics like Tom Kuppinger who believe that AIDS art is art which can only be made by people infected with AIDS or by people from the AIDS milieu. Would you join him in this? FW: That doesn't have to be so. This would be a very institutional form of art, where only those who have experienced something in their own lives are allowed to present this in some form. I have always been in disagreement with Tom Kuppinger in this point. I have never understood art and AIDS as a form of self-awareness – forms of self-awareness in this respect have always bored me. KI: From a global perspective, AIDS is no longer a homosexual problem. However, the subject is still occupied by homosexuality. Is it possible to broach the international nature of AIDS within art? FW: Everything can be discussed in art – whether it is sensible at this point in time is the question. One has to come back to the national and local centres, because only there can art have any effect. There are artists in Nigeria and artists in Singapore who have something of interest to say to the respective audiences of their art. Exploring AIDS in an international context would probably be a step backwards, whereby the whole AIDS prevention project which has developed from a simple, linear strategy which says »you shouldn't have any unprotected sex« to highly differentiated prevention in respect to Western Europe and the USA. In prevention, an attempt is made to speak the language of the target group. [2] Frank Wagner had invited David Deitcher to deliver an evaluation of art production during the AIDS crisis which was published in the »LES MONDES DU SIDA – Entre résignation et espoir« [AIDS WORLDS – Between Resignation and Hope] exhibition catalogue (on the event of the 12th World Aids Conference in 1998 at the Centre D’Art Contemporain, Geneva). Sign Of Silence, 1998 The
capability of partial publics
[3]
/ Interview
with Marius Babias from 16
November 1998 KI: In the project art of the 1990s which you qualify as »counterpublic«[4] it is the job of the artist to produce reality – as art. Have I understood the project art model correctly? MB : For me, the concept of reality is too dominant in this respect. I would first of all differentiate between overall public and partial public. It was a political mistake of the generation after 1968 to tend to argue in terms of an overall public. Whether city guerrilla or Red Army Faction – it was all about changing the whole society. Today it is rather more a case of crystallising something in partial publics. Here I see a new array of duties and a new chance for producers of culture. KI: How does a partial public manage to be heard beyond its own borders? MB: First of all, the programme is important. Whether it is an internet forum, or the gallery of an initiative or a volume of essays – under which conditions and with which objectives do I do a project? Against a background of societal crises like AIDS, the critical consciousness of cultural producers rose in the 1990s. If you ask about the effects of such projects, then one could argue with Bourdieu that project art is concerned with symbolic prey. However, practice shows that changes can be achieved in political, economic and cultural fields – meaning that not only cultural capital is accumulated – as soon as artists begin to critically address societal problems. KI: Stella Rollig writes that the tricky problem of currently re-politicised art is that it calls upon an unwilling public to participate. Do you know of any examples of successful project art, which has been created by a partial public and which have had an effect beyond this partial public or in which the wider public have participated? MB: In the middle of the 1990s there was a series of projects, discussions and discursive treatments of issues that were ennobled to the class of art-like efforts. In Berlin, Zurich and Cologne, a number of selforganised locations, which are now partially closed, were formed. The artists did not want to transform cognition into material any more; they wanted to create a communication forum. Symptomatic of this was that the mass of artists who should have agitated most for this new approach were the ones who most fiercely disassociated themselves from it. The partial public art initiated a splitting process, the results of which we feel even today. The partial public became a mini public, and from this mini public came a completely marginalised area. The overwhelming majority of artists rejected this new form of collective production and followed their own individual careers – they went the institutional way. KI: Let us now come to AIDS and art. I believe that the fading away of AIDS in the art world in a global context since 1994 is due to, amongst other things, the fact that Cultural Studies became the guidance model. Cultural Studies allows AIDS to be analysed in its respective context, but AIDS cannot be reflected in a global context with the help of this theory. MB: You mean that the numerous differentiations, which enter into the dialogue through cultural studies, obscure the overall perspective? To that one must note that artists strengthened the media presence of AIDS. It was activities by groups like Act Up! or Gran Fury which made AIDS a social issue in the USA. Political activities were financed by NEA money. I doubt that Cultural Studies is above all responsible for the media black-out on AIDS since the middle of the 1990s. One could polemically return the question: Why are artists no longer interested? [3] »Teilöffentlichkeit« in German – »Öffentlichkeit« meaning »public« and »Teil« meaning »part«, »subset« [4] »Gegenöffentlichkeit« in German – like »culture« and »counterculture«
AIDS
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Operating System Art / Interview with Thomas Wulffen from 12 October
1998 KI: What is the difference between »social system« art and »operating system« art, a term which you coined in one of your Kunstforum International edited volumes? TW: The concept of operating system art indicates the strong autonomisation of the social system of art. This autonomisation is a very recent development. Art today is an autonomous system – which also concerns the question of its social effectiveness. The concept of operating system art was meant critically, although I don't know whether that has been widely understood. KI: Am I right in understanding that operating system art functions in an autopoietic and self-referential way? Don't you mean that art also has a discussionary function emanating from the art system? TW: Sure, by all means that would be good, but I am also a realist. Therefore, I also say that the term of operating system art has a polemic meaning. The fact that there are determining factors means that it is difficult to escape the operating system art. One of the problems is that aesthetically transferred societal problems are aesthetically perceived from the outset without the support of the people who can explain where the problem comes from and who are the backers of the movement. The fact that operating system art can act as a model for societal analyses is wishful thinking. That can still be found in the case of some artists, but that has later changed into an evasive conceptual aesthetic which no longer takes up societal questions. KI: In 1993 Tom Kuppinger wrote that AIDS hit the Berlin art scene like a bomb, blowing away the constraints which threatened to suffocate art. The people mingled with the citoyens of good taste in the name of AIDS. Do you agree with Kuppinger? TW: It can't be claimed that there was a large mass movement here then. He's right to some extent, in that it effected something, but it didn't have the explosive effect it did in the USA. The Germans were always able to retreat to an aesthetic view, which wasn't possible for the US Americans. It's possible to consider Felix Gonzales-Torres aesthetically today; in 1993 one looked at him both aesthetically and politically. In America his work was seen in the first instance politically and then aesthetically. That is the fundamental difference. KI: The new figures from UNAIDS say that 30 million people worldwide are infected.[5] The only thing they probably have in common is that they are all deregulation losers. This gigantic group is very heterogeneous. Can 30 million people be discussed as a theme? TW: Apparently only when it affects us. If the markets in Southeast Asia crash then we read the Spiegel article [German news magazine], but we care very little as long as the situation in Africa remains as it is and doesn't affect us. One has to ask oneself what exactly is politics good for? There is a lot of talk about globalisation which is so much hot air and doesn't care about the substantial issues at all. KI: Is operating system art a department of the leisure industry? TW: Yes, that too. I recently wrote that contemporary art – when it is good – is made up of epistemology, entertainment and service. What I see is that epistemology becomes ever smaller and entertainment and service taking up more and more space. Art becomes spectacle. It apparently seems that society won’t allow anything else. KI: Can AIDS art – according to epistemology – only ever be made by individuals who are directly affected? TW: That doesn’t have to be so. The concept of alienation plays a role here. One can alienate himself within his work – whatever that looks like – in order to indirectly discuss the problem of alienation of AIDS sufferers. There are representatives of the interests of marginalised groups in the art domain – they just aren't recognized. This is essentially the problem. [5] 1998 figures. According to UNAIDS, there were 40 million people infected worldwide in December 2004. Recent figures: www.unaids.org AIDS Cargo II, 1998 |