Der Begriff der Ursache macht es notwendig, den Begriff der Kraft zu bilden, als der Fähigkeit eines Dinges, etwas zu bewirken. Durch sein Dasein wird eine Veränderung hervorgerufen. Die wirkungsfähige Ursache kann selbst nicht ursachlos sein, sondern wird erst durch eine Veränderung zum Wirken gebracht.  - B.N.

Kausalnexus von Rainer Bellenbaum   //   English version   //   Bild 1   2

Das klassisch physikalische Weltbild von Ursache und Wirkung war mit der Selbstreflexion des modernen Betrachters in Unruhe geraten. Hatte dieser erst mal erkannt, dass seine Eigenbewegung jede Beschreibung äußerer Wirklichkeit relativiert, rückte auch das Mittel der Beschreibung, die sich autonom erzeugende Sprache, zunehmend ins Visier der Forschung. – Am Anfang war das Wort.

LOVE, 2002

Um mit der Arbeit von BEWEGUNG NURR zu beginnen, die mir am besten gefallen hat: Wie formt jemand aus einer Linie Kokain das Wort ›LOVE‹? Der Protagonist im gleichnamigen Videofilm macht es wohl nicht zum ersten Mal. Einige Kniffe hat er gut raus, etwa mit der Rasierklinge eine Linie zu ziehen, dünn, dicht, von ungefähr 15 cm Länge. Zielstrebig zieht er am hinteren Ende der Linie ein Rasierklinge-großes Teilstück in rechtem Winkel ein, als Vertikale für das E. Bevor er mit dem L am vorderen Ende der Linie fortfährt, zögert der Mann einen Moment, überlegt – jedenfalls bezeugt dies der unschlüssige Ausdruck, mit dem er nun sein Werkzeug hält. Als wisse er, was er sagen wolle, nur noch nicht wie. Außer seinen Händen und, ab und zu, sein Hinterkopf ist von dem Mann kaum etwas zu erkennen. Sein Gesicht spiegelt sich nur schemenhaft auf dem blanken Tisch. Die Kamera blickt von schräg oben darauf und auf Pulver, Beutel, Rasierklinge und Portemonnaie, so wie auf die nackte Handlung. Als das Wort LOVE fertig ist, zieht der Mann einen 100-Mark-Schein aus seiner Geldbörse, rollt ihn zu einem Röhrchen, um das Pulver in die Nase zu schnupfen. Fraglich ist, ob es sich hier um ein Schauspiel handelt. Puderzucker oder Kokain? Buchstabe für Buchstabe schnupft der Mann das Pulver. Dabei wächst seine Anstrengung. Seine Hand zittert. – Oder handelt es sich um ein Dokument? Die zitternde Hand als Zeichen der Überwältigung wie als Zeichen der Beherrschung. Zeichen für eine Störung der Eleganz eines Rituals. Der Mann beherrscht sich, beruhigt sich, bleibt ruhig in der von der Stativkamera fixierten Position sitzen und führt das Ritual der Drogenaufnahme bis zum letzten Buchstaben aus. Dann schiebt er die bei der Prozedur übrig gebliebenen Krümel mit der Rasierklinge zu einem Häufchen zusammen, nimmt dieses mit angefeuchteter Fingerkuppe auf, um sich auch den letzten Rest Pulvers via Zahnfleisch einzuverleiben. Geht es ihm doch darum, nichts vom kostbaren Schnee zu vergeuden. Oder, anders gesagt, er will sich voll und ganz daran verschwenden. Schließlich verlässt der Mann die Szene. Nennen wir sie eine Performance? Für die Dokumentation einer Performance ist die vogelperspektivische Kameraeinstellung eigentlich zu ausdrucksvoll. Es scheint vielmehr, als dass die Handlung hier ausschließlich für die Kamera inszeniert ist. Das Schöne an LOVE besteht darin, dass sich Dokumentarisches und Schauspielerisches hier mehrdimensional verschränken. Routine und Ritual brechen sich an Übung und Überwältigung.

Was hat Liebe mit Drogen zu tun? NURR bemerkt in einer Notiz zu LOVE (2000) an: »Person allein im Partybereich, in einem Nebenraum, macht mit Ersatzstoff Liebe, einsames Handeln.» Eine Anmerkung, welche die Szenerie also schriftlich auflädt. Im Video ist von einer Party genauso wenig zu sehen, wie von einem Hauptraum. Allenfalls lässt sich New Orders mit viel Raum-Atmo wiedergegebene Pop-Song »Bizarre Love Triangle« mit einem möglicherweise anderswo stattfindenden Ereignis in Verbindung bringen. Aber lassen wir es uns gesagt sein: Stellen wir uns die Party-Gesellschaft vor, den Hauptraum im Off, jenseits des Kamerablicks, vielleicht jenseits des Monitors – den Ausstellungsraum. Dort, neben dem Monitor, hängen zwei Acrylgemälde. Das eine, LOVE (2002), zeigt die vier großen Buchstaben diesmal in Schwarz, wie auch, darunter, die Graphik eines Adlers, beides auf gelbem Grund, im Stil eines bekannten Vereinslogos. So groß und so schwarz, wie jenes Logo die Buchstaben »ADAC« verkündet, so antwortet das Gemälde mit »LOVE«. Wer macht hier Liebe? Die Abkürzung mit einem vollständigen Wort? Die Kunst mit dem Automobil-Club? Oder der Club mit einem verunglückten Mitglied?

Nicht weit davon entfernt hängt das zweite Gemälde LOVE AND PEACE (2003), auch hier ein Adler, diesmal in Weiß, doch ohne Buchstaben. Blauer Untergrund, kreisförmig gefasst, somit ebenfalls auf ein bekanntes Markenzeichen anspielend, in diesem Fall auf dasjenige der Friedensbewegung. Statt Friedenstaube allegorisiert hier jedoch ein raublüsterner Adler. Statt LOVE ein Herz. Sturzflug, Beutefang. Und wenn NURR die Kombination solcher Motive nicht nur für Gemälde in Auftrag gibt, sondern darüber hinaus für Aufkleber oder Postkarten, geraten die derart thematisierten Liebesbeziehungen herstellungspraktisch zur kühlen Berechnung von Maßstab, Proportion und Serie. Das heißt zu Ordnungsprinzipien, wie sie auf ganz andere Weise in der Digitalbelichtung Bondage (2001) vorkommen: Diese zeigt die drei Mitglieder Alekos Hofstetter, Lokiev Stoof, Christian Steuer, gleichmäßig in Reihe stehend, der Größe nach geordnet, jeder von ihnen bis zur Schulter mit einem gelben Gartenschlauch umwickelt, neugierig aber doch gefasst darauf harrend, was eine junge, sonnengebräunte Bikini-Schönheit, ihrerseits mit einem Gartenschlauch bewaffnet, nun anfängt.

Und so ließe sich die Kette der Konfrontationen fortspinnen. Auf sehr abwechslungsreiche Weise variieren die unter dem Aspekt des Kausalnexus zusammengefassten Arbeiten (fotografierte Aktionen, Videos, digitale Bildbearbeitungen, Gemälde) die Symbolisierung des Sozialen als Unfall, Absturz, Verhinderung – kurz gesagt als Scheitern. Dabei bezieht die Künstlergruppe ihre eigene Dynamik in solcherart Bedeutungspraxis immer wieder ein. So etwa bei der Digitalbelichtung Spree (2004), für die Christian Steuer über ein Brückengeländer stürzt, bevor die heraneilenden Hofstetter und Stoof ihn daran hindern können. Eine eigenwillige Lesart könnte diese Aktion auch deuten als einen gruppengeschichtlichen Verweis darauf, dass Daniel H. Wild, einst Mitbegründer von BEWEGUNG NURR, sich inzwischen zurückgezogen hat. Oder ein weiteres Beispiel: Cash Fall A (2003) – auch dieses Bild ist als Selbstreferenz der Künstler kaum misszuverstehen: Mit seinem scheinbar zum Salto ansetzenden Rückwärtssturz in der geschliffenen Lobby eines Bürohauses reflektiert Lokiev Stoof anschaulich, welche halsbrecherischen, aber auch beflügelnden Turbulenzen den Künstler beim Eintritt in die Geschäftswelt erwarten.

Love and Peace, 2003

Ursache oder Wirkung? Isolation oder Erfolg? – Die Chronologie solcher Umstände ist nicht festzulegen. Die Zeit der Bildbearbeitung nimmt jedem Phänomen die vermeintliche Authentizität, sei es als Vervielfältigung des Einzelnen, als Doppelbelichtung von Geschichtlichem oder als Vergrößerung eines Details. Da ist die Dreifachkopierung einer beim Start verunglückten Concorde (Disastrous Takeover 1 und 2, 2001) nicht ästhetizistischer als die Vergrößerung des Metallriemchens, das für jene Absturzkatastrophe ursächlich gewesen sein soll (Kausalnexus, 2001). Und ein lila-weißer Raubfisch (Milka Hai, 1996) ist nicht eigentümlicher als jene davon appropriierte, Schokolade konnotierende Milchkuh.

Die Gefahr droht, dass solche anverwandelnden Wort- und Bildspiele dem darin vorausgesetzten, klassischen Gegensatz von Repräsentation und Gefolgschaft frische Nahrung liefern. Doch die Strategie einer Künstlergruppe, ihre unberechenbare, bis an die Schmerzgrenze reichende Eigenbewegung in die elegant-ästhetische Regulierung modernen Risikoverkehrs einzubeziehen oder, noch besser, diesem entgegenzuhalten – diese Strategie kommt jenen klassisch symbolischen Fronten durchaus aufrauend in die Quere.

 

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The term »cause« makes it necessar y to constr uct the term »force«, as the capability of an object to cause something to happen. Through its existence, a change is called into being. The causal effect itself cannot be without cause, instead it only has effect through a change. - B.N.

Causal Nexus by Rainer Bellenbaum   //   tranlated by William Macdougall   //
pic 1   2

The classical physical worldview of cause and effect has been disturbed by the self-reflection of the modern observer. Realising first of all, that his own movement made every description of external reality relative, the means of description – the autonomously generating language – were also increasingly put in the research focus. – In the Beginning was the Word.

LOVE, 2002

Beginning with the BEWEGUNG NURR work which I liked the most: how does somebody form the word »LOVE« from a line of cocaine? The protagonist in the film of the same name probably isn't doing it for the first time. He also has a few good tricks – cutting a line with the razor blade, thin and tight with a length of around 15cm. He purposefully draws the razor blade at a right angle at the rear end of the line – the vertical line for the »E«. He hesitates for a moment before he continues with the »L« at the front of the line and considers; in any case this attests to the unsteady expression with which he now holds his tool. As if he would know what he wants to say, but not how. Apart from his hands, and occasionally the back of his head, there is hardly anything to recognise him by. His face is reflected only dimly on the polished table. The camera looks down obliquely over powder, a little packet, a razor blade and a wallet as well as over the naked act. He pulls a 100 German Mark note from his wallet when the word »LOVE« is finished, rolls it up into a tube in order to sniff the powder up his nose. It is questionable whether the scene is being played out. Icing sugar or cocaine? Letter by letter the man sniffs the powder. At the same time his efforts increase. His hand trembles. Or is it really a document? The shaking hand as a sign of being overwhelmed as well as a sign of control. A symbol for the breakdown of the elegance of a ritual. The man controls himself, calms himself, remains quiet in his position observed by the stage camera and carries the drug taking ritual out to the very last letter. He then gathers the remaining powder into a small pile using the razor blade, and takes it with a moistened fingertip in order to rub the rest of it into his gums. Is this because he doesn't want to waste any of this precious snow? Or, otherwise said, because he wants to get totally wasted in it? Finally, he leaves the scene. Do we call this a performance? The bird's eye perspective position of the camera is too expressive for it to be the documentation of a performance. It seems rather more that the act has been staged exclusively for the camera. The best thing about LOVE is the fact that documentary and acting bridge across more dimensions here. Routine and ritual broach practice and overwhelmedness.

What has love got to do with drugs? NURR notes in a description of the LOVE (2000) work that: »a person alone in the party area makes his way into a side-room and makes love with a substitute material – lonely action.« Thus, a remark which the scenery also loads up in writing. In the video, there is as little to see of a party as there is of a main room. At best New Order’s reverberating pop song »Bizarre Love Triangle« can be associated with an event that possibly takes place elsewhere. Imagine a party crowd, the main room offstage, outside the camera's view, possibly beyond the monitor – the exhibition room. Two acrylic paintings hang next to the monitor. One of them, LOVE (2002), this time shows the four large letters in black above an eagle against a yellow background in the style of a familiar club logo. So big and black like the logo announcing the letters »A D A C«, the painting answers with »LOVE«.[1] Who makes love here? The abbreviation with a entire word? Art with the automobile club? Or the club with a member involved in an accident?

Not far away hangs the second painting, LOVE AND PEACE (2003), also with an eagle but this time in white and without letters. Blue background, circular in shape, thus alluding to a familiar trademark, in this case that of the peace movement. Here a predatory eagle allegorises in place of the peace dove. Instead of LOVE a heart. Nosedive, prey capture. And if NURR doesn't only apply such motifs to painting, but also to stickers or postcards, the love relationship broached in such a way goes – in a practical manufacture way – in cool calculation of measure, proportion and series. That means to order principles which are represented in a completely different way in the digital exposure Bondage (2001): this shows the three members – Alekos Hofstetter, Lokiev Stoof and Christian Steuer – standing evenly in a row according to size, with each of them wrapped to shoulder level with a yellow garden hose; curious but nonetheless waiting in a composed manner to see what a young sun-kissed bikini beauty armed with a garden hose does. And so the chain of confrontations continues to spin. In a very diverse way, the works (photographed activities, videos, digitally edited pictures, paintings) grouped together under the causal nexus name vary the symbolisation of the social as accident, crash, hindrance – briefly said, failure. In these works, the group of artists include their own dynamic momentum in such acts of significance practice. Like for instance, the digital exposure Spree (2004), in which Christian Steuer falls over a bridge balustrade before the chasing Hofstetter and Stoof can stop him. An unconventional reading of this event could be a group history related reference to Daniel H. Wild, one of the founding members of BEWEGUNG NURR, who in the meantime had left. Or another example. Cash Fall A (2003) – this picture is also a self-reference to the artists which is hard not to understand: with his seeming reverse somersault inside the polished lobby of an office building, Lokiev Stoof vividly reflects the breakneck but also quickening turbulences which expect the artist upon entry into the business world

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Love and Peace, 2003

Cause or effect? Isolation or success? The chronology of such events cannot be determined. Digital imaging takes away the assumed authenticity of all phenomena – whether as multiplication of the individual, double exposure of the historical or as enlargement of a detail. There is the triple copying of a concorde which had an accident on take-off (Disastrous Takeover 1 and 2, 2001), not more aesthetic than the enlargement of a small metal strap which should be causal for the very crash catastrophe (Kausalnexus, 2001), and a purple and white predatory fish (Milka Hai [Milka Shark] 1996) are not more idiosyncratic than the chocolate connoting cow.[2]

The danger arises that such transforming word and picture playfulness delivers fresh nourishment to the presumed, classical opposite of representation and its followers. However, the strategy of a group of artists to include their own incalculable dynamic to the pain threshold in the elegant aesthetic regulation of modern risk traffic, or even better, to respond to this, is a strategy which gets in the way of every classical symbolic front.

[1] ADAC refers to the Allgemeiner Deutscher Automobil Club (the General German Automobile Club), the German equivalent of the British AA or RAC services.

[2] The Milka Cow, a purple and white coloured cow, is the brand trademark of the popular Kraft Foods owned Milka chocolate sold in a number of European countries.