WORLD TIME von Boris Abel   //   English version   //   Bild 1   2   3

Zeit ist, was die Uhr anzeigt (Albert Einstein)

Im Mittelpunkt der Arbeit WORLD TIME steht eine von der BEWEGUNG NURR entworfene Werbeanzeige für eine Digitaluhr. Weitere Bilder zeigen das digitale Display dieser Uhr und die in einer Bedienungsanleitung veranschaulichten fünf verschiedenen Alarmoptionen eben dieser Uhr. Der Lamda-Print mit der Anmutung einer arabischen Zeitungsanzeige zeigt das nächtliche CIA-Headquarter. Im Himmel ist gleichsam einer Erscheinung der alttestamentarischen Ausruf Gottes »Es werde Licht!« in Arabisch zu erkennen.

WORLD TIME II, 2003

Nun mag der Betrachter spontan denken, er sei hier einem völlig kryptischen Werk ausgeliefert worden, jedoch bei genauerer Betrachtung wird offenbar, dass die Künstler zum Thema der Globalisierung eine intelligente Paraphrase der Ablösung des Begriffs der »postmodernen Unübersichtlichkeit« aus den Achtzigerjahren durch den Begriff der Komplexität realisiert haben. Inzwischen wurde es allgemein verinnerlicht, dass die Komplexität von Gegenwartsgesellschaften insbesondere aus dem zentralen Problemfeld der Globalisierung resultiert.

Die Bedienungsanleitung zeigt die Möglichkeiten dieser Digitaluhr, sich beim Wechsel der Zeitzonen in verschiedenen Modi wecken zu lassen. Diese englischsprachige Anleitung wurde von den Künstlern in fünf Tafeln gegliedert und bietet eine schon auf den ersten Blick kompliziert wirkende Benutzerführung zur Einstellung der einzelnen Weckfunktionen an. Für gewöhnlich werden schlecht gemachte Bedienungsanleitungen durch die sich beim Nutzer schnell einstellende Ernüchterung zum Ärgernis: Man fühlt sich der Unzahl von Nutzungsoptionen aus Gründen des sich nicht einstellen wollenden Verständnisses nicht gewachsen und schlussendlich bleibt nur die Kapitulation vor der vermeintlichen Komplexität des Sachverhaltes. Bei der Bedienungsanleitung dominiert das Bild die bizarr anmutende Fülle der mit den verschiedenen Zeitzonen dieser Welt abzustimmenden Alarmoptionen. Der Betrachter scheitert bereits an der Beantwortung der Frage, welche Weckeinstellung in welchem Zusammenhang relevant sein könnte. Nach Lektüre der Bedienungsanleitung wird offenbar, dass man einer pluralen Zeiterfahrung im Multi-Funktions-Weltzeit-Alarmmodus nicht gewachsen ist.

WORLD TIME I, 2003

Die Künstlergruppe BEWEGUNG NURR trägt in ihrem Namen das arabische Wort für Licht. »Nur« ist Licht auf Arabisch. Licht ist Bewegung. Die Werkfolge mit ihrem in Arabisch geschriebenen Aufruf »Es werde Licht!«, der Geheimdienstzentrale und der multifunktionalen Digitaluhr formuliert keinerlei eindeutige Aussage, sondern konfrontiert uns in ihrer Vieldeutigkeit mit verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten. Hierbei sind nicht nur Details, wie die Mehrdeutigkeit des Wortes Alarm zu berücksichtigen, sondern auch die Rolle des arabischen Wortes für Licht.

Worum geht es hier? Ist Licht hier zur Marke, die vor dem Hintergrund des CIA-Hauptquartiers mit einem Zitat aus der Genesis beworben wird, geworden? Welche Rolle spielt die Darstellung des nächtlichen Hauptquartiers der CIA vor dem Hintergrund des sich aktuell ausweitenden Konfliktes mit der arabischen Welt und der lauter werdenden Vorwürfe, in Langley wäre die Entwicklung verschlafen worden?

Das Werk kann bei diesen nicht zu beantwortenden Fragen beim Betrachter eine gewisse Nervosität, ähnlich der beim erfolglosen Ringen um das Verständnis unverständlicher Bedienungsanleitungen, auslösen. Hier wird der Betrachter mit einer billigen Digitaluhr und ihrer Bedienungsanleitung allein gelassen. Völlig unklar ist, ob, wann und in welcher Zeitzone letztlich der Alarm ausgelöst wird. Wann und wo werden wir geweckt? Die letztlich entscheidende Frage ist, ob die BEWEGUNG NUR einen multiperspektivischen Versuch anhand der symbolischen Ordnung einer Collage unternimmt, oder ob hier von Perspektive gar nicht mehr gesprochen werden kann, weil die Aussichtsplattformen permanent gewechselt werden.

Im Verständnis vom Rhizom bei Gilles Deleuze und Felix Guattari kann jedes Plateau an beliebiger Stelle gelesen und zu beliebigen anderen in Beziehung gesetzt werden. Ein derartiges Perspektivengeflecht könnte sich als angemessene, weil Teilhabe gewährende Zugriffsmethode auf das Meta-Rhizom kultureller Pluralität erweisen. Die Lokalisierung der Plateaus als Ausgangspunkte der Betrachtung ist unwichtig, weil man beim konsequenten Ignorieren hierarchischer Ordnungen ohnehin vom Hundertsten ins Tausendste gerät. Im Werk der BEWEGUNG NURR ist ausreichend für Verflechtungen, Knoten und Stolperfallen gesorgt.

Operating Instructions 1-5 , 2003

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WORLD TIME by Boris Abel   //   tranlated by David Sánchez   //   pic 1   2   3

Time is what the watch shows (Albert Einstein)

At the centre of WORLD TIME is an advertisement designed by BEWEGUNG NURR for a digital watch. Other images show the digital display as well as the five different alarm options explained in the watch’s  operating instructions. The Lambda print with the suggestion of an Arabic newspaper advertisement depicts the CIA headquarters at night. God's command »Let there be light« from the Old Testament appears in Arabic in the sky above.

WORLD TIME II, 2003

Now, the observer might feel as if confronted by a completely cryptic work here. At closer inspection however it becomes clear that to deal with the subject of globalisation the artists have formulated an intelligent paraphrase of the notion »postmodern confusion« from the 1980s, replacing it with the concept of complexity. By now it has been generally realised that the complexity of current societies is particularly caused by the inherent problems of globalisation.

The operating instructions show the digital watch's possibilities for setting off the alarm invarious modes when changing time zones. These instructions have been divided into five tables by the artists and provide at first sight a seemingly complicated user guidance for setting the individual alarm functions. In general, poorly written operating instructions quickly disappoint and irritate users; when comprehension does not set in one capitulates before the innumerable features and ultimately gives up in the face of the presumed complexity of the matter. The bizarre quantity of alarm options to be adjusted to the different world time zones dominates the operating instructions; the observer fails in answering the question which alarm setting could be relevant in which relationship. After reading the operating instructions it becomes obvious that one is not up to a pluralistic experience of time in multi-functional-world-time-alarm modus.

WORLD TIME I, 2003

The artist group BEWEGUNG NURR expresses in its name the Arabic word for light. »Nur« is light in Arabic. Light is movement [Bewegung]. The series of works with the phrase »Let there be light« formulated in Arabic, the intelligence agency headquarters and the multi-functional digital watch do not formulate a clear message; rather, by their ambiguity they confront us with various possibilities of interpretation. Here not just details such as the multiple meanings of the word »alarm« have to be considered, but also the role of the Arabic word »light«.

What is this all about? Has light here become a brand, promoted against the background of the CIA headquarters with a quote from Genesis? What does the night view of the CIA headquarters mean in light of the spreading current conflict with the Arabic world and of the increasingly voiced criticism that Langley has carelessly slept through developments?

With all these unanswered questions the work can give rise to a certain nervousness among the observer, similar to that caused by the unsuccessful attempt to understand incomprehensible operating instructions. The observer is left alone here with a cheap digital watch and its operating instructions. It is completely unclear if and when the alarm will go off and in which time zone. When and where we will we be awakened? The decisive question finally is whether BEWEGUNG NURR has attempted a multi-perspective experiment by means of the symbolic composition of a collage, or if one can not speak anymore of perspective, as the viewing platform is permanently changed.

In Gilles Deleuze's und Felix Guattari's conception of rhizome any plateau can be read at any point and be set in relationship to any other one. Such an interweaving of perspectives could prove to be an appropriate method of access to the meta-rhizome of cultural plurality, as it guarantees participation. The localisation of the plateaus as starting points of observation is unimportant, since the thorough ignoring of hierarchical orders automatically leads to rambling confusion. BEWEGUNG NURR's work however amply provides interconnections, nodes and stumbling blocks.

Operating Instructions 1-5 , 2003